Obsoleszenz - auch ein Thema bei Lebensmitteln: Ergebnisse einer Expertenbefragung
Obsoleszenz ist ein Thema - auch bei Lebensmitteln. Der in populär-wissenschaftlichen Veröffentlichungen gehegte Verdacht einer mehr oder weniger ausgeprägten Beteiligung der produktiven Akteure der Lebensmittelwertschöpfungskette am vorzeitigen Verderb von Lebensmittel ist zutreffend. Zumindest bestätigen dies Experten aus Wissenschaft und Lebensmittel-Praxis bei einer Expertenbefragung im Jahr 2015, die in dem vorliegenden Bericht vorgestellt wird. Die Experten bestätigen damit die Kernfrage dieser Untersuchung, die sich mit der Relevanz des Begriffs befasst und prüft, ob Obsoleszenz ein Thema auch bei Lebensmitteln und nicht nur bei Gebrauchsgütern ist, an denen alleine die derzeitige Obsoleszenz-Debatte ansetzt. Es ist die Mehrheit der 19 befragten Wissenschaftler und Praktiker entlang der Wertschöpfungskette Lebensmittel, die diese Sichtweise teilen. Es stimmen dieser jedoch nicht alle zu; das Thema polarisiert vor allem die Wissenschaftler. Letztlich sind nicht die Probleme der Ressourcenverschwendung und sozialen Disparität durch Lebensmittelabfälle strittig, gleich aus welchen Gründen auch immer sie entstanden sind. Vielmehr ist umstritten, wer verantwortlich ist und welche Bezeichnung verwendet werden sollte, wenn Lebensmittel vorzeitig verderben oder frühzeitig weggeworfen werden: Obsoleszenz, Lebensmittelverschwendung, Vermeidung oder anderes. Die daran anschließende Frage, welche Vorteile oder welchen Mehrwert es habe, wenn Lebensmittelabfälle in die Obsoleszenz-Debatte eingeführt werden, oder umgekehrt, Lebensmittelabfälle mit der Brille der Obsoleszenz-Debatte betrachtet werden, nimmt genau dieses in den Blick. Hervorzuheben sind hierzu folgende Schlüsselthemen: 1) Vermeidung willkürlicher Deutungshoheiten: Die Verlagerung eines Begriffs und das Generieren von Deutungshoheiten zur (geplanten) Obsoleszenz nur in bestimmten Branchen ist willkürlich. Es fehlen objektive Gründe, Obsoleszenz ausschließlich bei Gebrauchsgütern oder nur technischen Geräten anzuwenden. Die Hintergründe und Zusammenhänge einer vorzeitigen Alterung von Produkten fallen in vielen Aspekten gleich aus, unabhängig von der Art der Branche, der Art des Produkts oder dessen Lebensdauer. Die Probleme und Ursachen des unnötigen Ressourcenverbrauchs entstehen entlang der Wertschöpfungskette aufgrund der Prozesse und Gepflogenheiten auf allen Märkten moderner und innovativer Gesellschaften. 2) Korrektiv der Verbraucherverantwortung: Das Adressieren der Hersteller und der Händler stellt ein Korrektiv in der Verantwortungszuweisung von Lebensmittelabfällen dar, die gerade im Bereich der Lebensmittel derzeit zu stark am Verbraucher aufgehängt wird. Das Ziel der Reduzierung von Ressourcenverschwendung ist insgesamt unstrittig und sollte nicht nur den Weg des geringsten Widerstands gehen und dabei bevorzugt Verbraucher adressieren. Mit dem Korrektiv der Verbraucherverantwortung ist auch ein Korrektiv in den Lösungsansätzen, mit einer größeren Vielfalt entlang der gesamten Wertschöpfungskette von Lebensmitteln, möglich. 3) Problemzentrierte Revision von Definitionen: Der Umgang mit Naturmaterialien und die Rolle der Landwirtschaft werden oftmals in der Betrachtung von Lebensmittelabfällen ausgeblendet, als unvermeidbar beschrieben oder per Definition und gesetzlicher Regelung ausgenommen (z. B. Ernteverluste). Über den Zugang Obsoleszenz und dessen Trennlinie in natürliche und künstliche (geplante) Obsoleszenz wird der Blick auf die natürlichen Rohstoffe von Lebensmitteln und deren Verwendung hingegen nicht grundlegend verstellt und die Erfordernisse einer kritischen Überprüfung von gesetzlichen Regelungen (z. B. Kreislaufwirtschaftsgesetz) deutlich. 4) Voneinander und miteinander lernen: Der Perspektivenwechsel und Austausch zwischen Experten in Obsoleszenz- und Food-Waste-Debatten ermöglicht es, von den Erfahrungen der jeweils anderen Seite zu lernen, Stärken und Schwächen von Instrumenten und Lösungsansätzen zu kennen und deren Fehler nicht zu wiederholen (z. B. Vorschlag einer Lebensdauerangabe bei technischen Geräten ohne Rückbezug auf Erfahrungen mit Haltbarkeitsangaben bei Lebensmitteln). Interessante Themen für weitere Studien umfassen Interdependenzen und Zielkonflikte, die Innovationen für Nachhaltigkeit und Verkürzung von Produktlebenszyklen betreffen. Weiterhin interessant wäre es, Standardsetzungen als Mittel für mehr Transparenz auf deren Beitrag zur Obsoleszenz zu überprüfen und Ansätze für mehr Wertschätzung im Gesamtgefüge mit Bezug zu allen Marktteilnehmern zu identifizieren.
Year of publication: |
2018
|
---|---|
Authors: | Gebhardt, Beate ; Ding, Jana-Lisa ; Feisthauer, Philipp |
Publisher: |
Stuttgart : Universität Hohenheim, Institut für Agrarpolitik und Landwirtschaftliche Marktlehre |
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