Von 1984 bis 1991 hat Neuseeland sein Wirtschaftssystem von dem am stärksten zu dem am schwächsten reglementierten innerhalb der OECD umgeformt. Durch eine Umstrukturierung des öffentlichen Sektors wurden die Kernfunktionen der Administration von den staatseigenen Produktionsbetrieben getrennt. Letztere wurden in eigenständige Kapitalgesellschaften umgewandelt, viele wurden privatisiert. Produktmärkte wurden dereguliert und für den internationalen Wettbewerb geöffnet. Praktisch alle Subventionen an Produzenten wurden gestrichen. Der Außenhandel wurde liberalisiert, ebenso die Geld- und Kapitalmärkte. Ausländische Investitionen und Einwanderung wurden erleichtert. Arbeitsmarktkontrollen wurden weitgehend abgeschafft, und die Arbeitnehmer bekamen das Recht, sich ungehindert zusammenzuschließen. Durch diese Maßnahmen wurde eine zuvor binnenmarktorientierte, skierotische Volkswirtschaft mit steigender Arbeitslosigkeit in eine flexible, international wettbewerbsfähige, schnell wachsende Volkswirtschaft mit Preisstabilität, überdurchschnittlichem Zuwachs an neuen Arbeitsplätzen und einem kleinen, effizienten Regierungsapparat verwandelt. - Lange Zeit war Neuseeland für sein System der zentralen Lohnfestlegung und sein Schiedsgerichtsverfahren für Arbeitskonflikte international bekannt. Seit 1991 ist es jedoch gleichermaßen durch das neue Arbeitsvertragsgesetz (Employment Contracts Act - ECA) bekannt geworden, welches den Schlußstein des umfassenden wirtschaftlichen und sozialen Reformprogramms darstellt. Das Arbeitsvertragsgesetz hat ein zentralisiertes, korporatistisches Tariflohnsystem durch dezentrale, marktwirtschaftliche Lohnfindung abgelöst. Heute sind frei ausgehandelte Arbeitsverträge die Grundlage für flexible Arbeitsmärkte. Das Gesetz vervollständigte einen achtjährigen Prozeß der Liberalisierung und der gründlichen Neukonzeptionierung des gesamten Staatsapparates in Neuseeland. - Bis dahin antagonistische Arbeitgeber-Arbeitnehmer-Beziehungen wurden ersetzt durch Kooperation zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern, flexible Anpassung an die Bedingungen des Wettbewerbs sowie eine verbesserte internationale Wettbewerbsfähigkeit neuseeländischer Arbeitsplätze und Unternehmen in einer sich schnell verändernden, weltoffenen Volkswirtschaft. Die Neuregelung der Arbeitsverhältnisse hat zu grundlegenden Verhaltensänderungen geführt, einerseits hervorgerufen durch die disziplinierende Wirkung der Konkurrenz auf den Produktmärkten, andererseits durch den Wegfall einiger Anreize zur Nicht-Arbeit in Form staatlicher Sozialleistungen wurde. Die Arbeitsmarktreformen haben einen wesentlichen Beitrag dazu geleistet, die Angebotsseite der neuseeländischen Wirtschaft weitgehend preiselastisch zu machen. Dies wurde auch durch die Ausrichtung einer unabhängigen Geldpolitik am Ziel der Preisstabilität, durch Verkleinerung des staatlichen Sektors, Privatisierungen und die Reduzierung der öffentlichen Verschuldung unterstützt. - Die Arbeitgeber wie auch die meisten Arbeitnehmer haben die Freiheiten des neuen Vertragssystems begrüßt. In vielen Sektoren ist die Produktivität deutlich angestiegen, was auf rationalere Arbeitstechnik und -Organisation zurückzuführen ist. Die Manager sind jetzt in der Lage, die in den Firmen beschäftigten Arbeitskräfte effektiv einzusetzen. Die Reallöhne sind aufgrund der Produktivitätssteigerungen gestiegen, wenn auch langsam. Die Zahl der Gewerkschaftsmitglieder und -funktionäre ist gesunken, da viele Arbeitnehmer jetzt über Agenten ihre Arbeitsverträge aushandeln lassen. Die Häufigkeit von Streiks und Aussperrungen ist dramatisch gesunken. Das Arbeitsvertragsgesetz und die übrigen Reformen haben eine »Kiwi-Arbeitsplatzschaffungsmaschine « entstehen lassen, die während des langen Aufschwungs von 1991 bis 1995 die Beschäftigung insgesamt um über 10 Prozent gesteigert hat. Sie hat - im Gegensatz zu früheren konjunkturellen Aufschwungphasen in Neuseeland und zu der Entwicklung in Australien - die Arbeitslosenquote innerhalb von zwei Jahren annähernd halbiert. Da im Rahmen des gegenwärtigen Konjunkturaufschwunges örtlich sogar Arbeitskräftemangel besteht, werden viele Langzeitarbeitslose, Jugendliche und Maoris wieder in den Arbeitsmarkt integriert. Die Deregulierung des Arbeitsmarktes hat auch Lohnzuschläge für berufliche Qualifikationen verbessert und die Transaktionskosten verringert. Die meisten Beobachter sagen eine Periode nachhaltigen, inflationsfreien Wachstums sowie ein weiteres Absinken der Arbeitslosigkeit voraus (Arbeitslosenquote im Juni 1995: 6,1 Prozent), weil Neuseeland trotz seiner stärker werdenden Währung jetzt als ein international überaus wettbewerbsfähiges Exportland und als ein attraktiver Standort für international mobiles Kapital und Unternehmertum gilt.