Die Corona-Krise als Herausforderung für die Wirtschaftspolitik in Deutschland und Europa
[Einleitung - Ein Virus als neuartige ökonomische Herausforderung] "Unser Land steht vor einer ernsten Situation" - mit diesen Worten leitete Finanzminister Olaf Scholz im Frühjahr 2020 seine Überlegungen zu den Vorkehrungen ein, die die Bundesregierung mit Blick auf die wirtschaftlichen Folgen der sich anbahnenden Corona-Krise getroffen hat. Wie sich schnell zeigte, müssen Scholz' Worte aus heutiger Sicht eher als Untertreibung angesehen werden. So, wie die medizinische Eindämmung einer Pandemie, für die noch keine Heilungspläne vorliegen, unbekanntes Territorium bedeutet, ist auch die wirtschafts- und finanzpolitische Bekämpfung einer gleichzeitigen Angebots- und Nachfragekrise in Zeiten von Nullzinsen und einem fragilen Finanzsystem absolutes Neuland: Die Ölpreiskrisen der 1970er Jahre waren eindeutig angebotsseitig verortet und trafen auf ein stabiles Finanzsystem sowie auf handlungsfähige und -willige wirtschaftspolitische Akteure in der Ägide des 'keynesianischen Wohlfahrtstaates'. Die Weltfinanzkrise nach 2007 wird zumindest in seinen realwirtschaftlichen Auswirkungen als nachfrageseitig angesehen. Die gegenwärtige Krise aber ist einerseits dort angebotsseitig, wo die mangelnde Verfügbarkeit von Arbeitskräften und Zulieferungen und der weitgehende 'Shutdown' die Produktion behindert(e) und dort nachfrageseitig, wo in einzelnen Branchen wie dem Hotel- und Gastronomiegewerbe oder der gesamten Touristikbranche aufgrund der Kontakt- und Mobilitätsbeschränkungen ('Lockdown') die Nachfrage massiv wegbrach und - im Zuge der 2. Welle der Pandemie in diesem Winter - wieder wegzubrechen droht. Und aus den sich daraus ergebenden negativen Wertschöpfungs- und Einkommenseffekten sowie der breiten Verunsicherung über die weitere Entwicklung - einschließlich der Unsicherheit über die Resilienz des Finanzsystems - ergibt sich ein gesamtwirtschaftsweiter Nachfrageausfall, der noch am ehesten mit herkömmlichen Konjunkturkrisen vergleichbar wäre. Auch die 'Schuldfrage' ist im Falle der Corona-Krise anders zu verorten als in früheren Krisensituationen: Bislang waren es immer dem ökonomischen System immanente Ursachen, die die Krisen auslösten. Im Fall der Ölpreiskrisen waren es - politisch induzierte - abrupte Preissteigerungen für Basisgüter, im Falle der Weltfinanzkrise kriminelles Verhalten von Finanzmarktakteuren im Zusammenspiel mit institutionellen Anreizen (Finanzinnovationen), die angebots- bzw. nachfrageseitige Störungen auslösten. Im heutigen Fall der Corona-Krise aber ist der 'Schock' als extern zu bewerten - dies mag für die Frage der Verteilung der Kosten der Krise von Bedeutung sein.