Die Geld-, Finanz- und Einkommenspolitik im volkswirtschaftlichen Systemzusammenhang
Seit der Weltwirtschaftskrise sind die Geld-, Finanz- und Einkommenspolitik zu Instrumenten der volkswirtschaftlichen Globalsteuerung entwickelt worden. Als Zielstellung der allgemeinen Wirtschaftspolitik lösten sich dabei in schneller Folge Beschäftigung, Wachstum und Geldwert ab. Der in den einzelnen Volkswirtschaften mit unterschiedlichem Gewicht und unterschiedlicher Betonung praktizierte Einsatz der Geld-, Finanz- und Einkommenspolitik hat nicht verhindert, daß sich die Wirtschaftsentwicklung in - wenn auch gegenüber den früheren Konjunkturzyklen schwächeren - Schwankungen der realen Wirtschaftstätigkeit vollzogen hat. In einigen Ländern blieb dabei auch in Zeiten des Wirtschaftsaufstiegs eine unerwünscht hohe Arbeitslosigkeit erhalten. International zeigte sich eine von Zyklus zu Zyklus zunehmende Inflationsrate. In der Erklärung dieser Erscheinung weichen die Theorien der Post- Keynesianer und der Neoquantitätstheoretiker weit voneinander ab. Die Neoquantitätstheoretiker nehmen im allgemeinen nicht näher dazu Stellung, ob in unserer Wirtschaftsordnung Mechanismen angelegt sind, die einen zyklischen Verlauf begünstigen. Sie unterstreichen mehr, daß die Schwankungen im gegebenen Umfang das Ergebnis antızyklischer Prozeßpolitik sind, die wegen der ihr inhärenten Verzögerung Auf- und Abstiegsbewegungen übersteuert und damit die zyklische Bewegung in entscheidendem Maße trägt. Die Post-Keynesianer sind demgegenüber der Auffassung, daß die moderne Wirtschaft aufgrund der in ihr angelegten Akzelerationsmechanismen zu einem instabilen Verlauf neigt. Die Prozeßpolitik mildert die Schwankungen. Ihre Instrumente sind jedoch noch nicht hinreichend differenziert und werden noch unzulänglich gehandhabt, so daß die gegenwärtigen Schwankungen verbleiben. Der Inflationsprozeß wird von den Neoquantitätstheoretikern als Folge einer zu schnellen Expansion der Geldmenge erklärt, die von den zuständigen Instanzen zugelassen wird, um einen über der natürlichen Unterbeschäftigungsrate liegenden Beschäftigungsstand zu realisieren. Die Post-Keynesianer betonen demgegenüber, daß in der modernen Wirtschaft die Unternehmer eine gewisse Preissetzungsmacht, die Gewerkschaften eine gewisse Lohnsetzungsmacht erreicht haben. Der Kampf um die Einkommensverteilung führt unter diesen Bedingungen zu Inflationstendenzen, wenn er nicht durch die Einkommenspolitik gebremst wird, deren Instrumente jedoch bislang unzulänglich entwickelt sind. Die von den Neoquantitätstheoretikern angebotene "Therapie geht dahin, den mehr oder weniger abrupten Wechsel von kontraktiver und expansiver Prozeßpolitik durch eine Politik stetiger Geldmengenexpansion abzulösen, die sich an den realen Wachstumsmöglichkeiten der Wirtschaft orientiert, und das Wachstum der Wirtschaft durch fiskalische Strukturpolitik zu fördern. Demgegenüber empfehlen die Post-Keynesianer, die Wachstumsschwankungen durch verfeinerte prozeßpolitische Maßnahmen weiter zu dämpfen und die Inflationstendenz durch Ausbau des einkommenspolitischen Instrumentariums in Grenzen zu halten. Die unterschiedlichen Rezepte sind letztlich darin angelegt, daß die kontroversen Theorien von unterschiedlichen Annahmen über die Einstellung der Menschen zum Geld ausgehen. Nach Vorstellung der Neoquantitätstheoretiker durchschauen die Wirtschaftssubjekte auf Dauer die Wirkungen der Geldentwertung und rechnen in Realgrößen. Damit setzen sich die natürlichen Gleichgewichtstendenzen durch und eine übermäßige Geldschöpfung kann sich nur in einer entsprechenden Inflationsrate niederschlagen. Die Post-Keynesianer unterstellen, daß der monetäre Sektor der Wirtschaft einen hohen Grad von Instabilität in dem Sinne hat, daß exogene monetäre Impulse durch Umschichtungen innerhalb dieses Sektors aufgefangen werden können, wie auch umgekehrt Umschichtungen innerhalb dieses Sektors monetäre Impulse auslösen können. Darin ist eine tendenzielle Instabilität des Wirtschaftsablaufs begründet, die durch Prozeßpolitik ausgeglichen werden muß
Year of publication: |
1972
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---|---|
Authors: | Ehrlicher, Werner |
Published in: |
Kredit und Kapital. - ISSN 0023-4591. - Vol. 5.1972, 4, p. 407-437
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Publisher: |
Berlin : Duncker & Humblot |
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