Nicht zuletzt aufgrund der kürzlich in der Schweiz abgelehnten Vollgeldinitiative wird das Thema Geldschöpfung privater Geschäftsbanken auch außerhalb der Fachwelt in einer breiteren Öffentlichkeit diskutiert. Welche Chancen böte der Systemwechsel zu einem Vollgeldsystem? Und mit welchen Risiken wäre solch ein drastischer Schritt verbunden? Nach Ansicht von Dirk Niepelt, Studienzentrum Gerzensee und Universität Bern, könnte ein Vollgeldsystem – wenn überhaupt – nur sehr aufwändig um- und durchgesetzt werden. Die Zentralbank hätte in ihm mehr Verantwortung und Macht als heutzutage, wäre aber auch wesentlich stärkerem Druck ausgesetzt. Das operative Geschäft der Zentralbank würde erschwert, und eine stabilitätsorientierte Geldpolitik wäre gefährdet. Die positiven Wirkungen eines Vollgeldsystems ließen sich gezielter mit weniger einschneidenden Maßnahmen erreichen. Auch der Zugang des Publikums zu elektronischem Notenbankgeld ließe sich öffnen, ohne damit eine Abschaffung von Sichtguthaben bei Banken zu verbinden. Verbesserungen gegenüber dem Status quo und einem Vollgeldsystem dürfte ein Arrangement mit sich bringen, in dem das Publikum die Wahl zwischen traditionellen Sichtguthaben und elektronischem Notenbankgeld hat. Auf neue Regulierung könnte dann verzichtet werden. Ulrich Stolzenburg, Institut für Weltwirtschaft, Kiel, sieht die Vorteile eines Vollgeldsystems in einer höheren Finanzstabilität und höheren Geldschöpfungsgewinnen für den Staat. Nachteilig wäre die Notwendigkeit zusätzlicher Regulierungen, voraussichtlich steigende Kosten für Finanzdienstleistungen und eine zu befürchtende Anpassungskrise des Bankensektors, die zunächst die Realwirtschaft belasten dürfte. Aber insgesamt sei ein Vollreservesystem im Vergleich zum gegenwärtigen Bankensystem eine spannende Alternative, die insbesondere auf lange Sicht eine höhere makroökonomische Stabilität verspreche, während die größten Risiken vor allem in der kürzeren Frist lauerten. Entscheide man sich letztlich für eine Reform der Geldordnung, seien schrittweise Annäherungen einem plötzlichen Systemwechsel vorzuziehen. Ein langsamer, planbarer Übergang würde allen Betroffenen eine allmähliche Anpassung an die neuen Bedingungen ermöglichen. Nach Ansicht von Alexander Rathke, Jan-Egbert Sturm und Klaus Abberger, ETH Zürich, lassen sich die Schwächen des gegenwärtigen Finanzsystems durch schrittweise Reformen und Adjustierung von bestehenden Instrumenten zuverlässiger verringern als durch einen Umbau des Systems mit ungewissem Ausgang. So sei beispielsweise eine Reform der Risikogewichtung bei der Berechnung des Eigenkapitalbedarfs dringend notwendig. Dieses Versäumnis nachzuholen, würde einen größeren Beitrag zur Finanzstabilität leisten als eine Vollgeldreform. Mathias Binswanger, Fachhochschule Nordwestschweiz, Olten, stellt fest, dass heute die Zentralbanken kaum noch Kontrolle über die Geldschöpfungstätigkeit der Geschäftsbanken haben. Der Vorschlag des Vollgeldes solle deshalb dazu dienen, die verlorene Kontrolle der Zentralbank über die Geldschöpfung zurückzugewinnen durch die Aufhebung der Möglichkeit der Geldschöpfung durch private Geschäftsbanken. Allerdings sei dann die Flexibilität der Zentralbank, auf Fehleinschätzungen zu reagieren, sehr gering. Hans Gersbach, ETH Zürich, merkt an, dass ein Vollgeldsystem zum Beispiel mehr Informationen von der Zentralbank erfordere, da sie als ein zentraler Planer der Geldschöpfung auftreten müsse. Auch sei die Elastizität der Kreditvergabe an die Realwirtschaft durch die Geschäftsbanken bei Änderung von makroökonomischen Größen im aktuellen System höher als in einem Vollgeldsystem. Vorteile einer Vollgeldarchitektur könnten eine höhere Finanzstabilität, insbesondere durch die Vermeidung von Bank-Runs durch private Einleger, und höhere Einnahmen für den Staat aus der Geldschöpfung sein. Die Vollgeldinitiative und die Vielzahl möglicher monetärer Architekturen stellten nicht nur die Politik, sondern auch die Wissenschaft vor die Aufgabe, diese alternativen monetären Systeme genauer daraufhin zu prüfen, ob sie eine Alternative zum heutigen System darstellen könnten. Elisabeth Springler, Fachhochschule des BFI Wien, stellt dar, dass durch eine Umsetzung des Vollgeldkonzepts ohne Veränderung des wirtschaftlichen Denkens, die Situation seit der Finanzkrise nicht verbessert würde.