Effektivität und Nettonutzen medizinischer Innovationen: Eine Besinnung auf die Grundlagen der Bewertung und eine Anwendung auf diagnostische Verfahren
Medikamentöse bzw. therapeutische Verbesserungen, definiert als Nettoergebnis aus Veränderungen der Effektivität und der Kosten der Therapie,sowie diagnostische Verbesserungen, ihrerseits definiert als ein solches Nettoergebnis aus kostengünstigerer, präziserer oder rascher verfügbarer Diagnose, werfen verschiedene Bewertungsprobleme auf, je nachdem, zu welchem Zeitpunkt im langwierigen Prozeß des medizin-technisehen Fortschritts sie eingeführt werden und an welche Entscheidungsträger sich die bewertende Analyse richten soll. Voraussetzung jeder Evaluation ist die Nutzung der erfahrungswissenschaftlichen Erkenntnisse der Medizin und der Sozialwissenschaften, da nur so die technischen Beziehungen zwischen Aufwendungen und Erträgen im diagnostischtherapeutischen Prozeß der Behandlung einer Krankheit erfaßt werden können. Nur auf dieser Grundlage ist ein Urteil über die Effektivität eines bestimmten medizinischen Vorgehens und damit auch über die Anwendung einer medizinischen Neuerung möglich. Sobald die Wirkungen (Effekte) eines solchen Vorgehens zu einem Gesamtmaß der Effektivität zusammengefaßt werden sollen, müssen jedoch zusätzliche wertende Urteile zur Aufstellung eines Ergebnisindex oder eines Ergebnisindikators herangezogen werden. Sollen Aufwands- und Ertragsseite voll vergleichbar gemacht werden (Nutzen-Kosten-Analyse NKA im engeren Sinne), so wird damit zwar ein absolutes Urteil über die Vorteilhaftigkeit einer vorgeschlagenen Neuerung ermöglicht; jedoch müssen alle Kostenkomponenten im Sinne von Opportunitätskosten voll beachtet werden. Streng genommen sind Kostengrößen nur mit den gleichen Bewertungsprämissen ermittelbar, wie sie bei Nutzengrößen erforderlich werden. Letztlich beruhen alle bewertenden Urteile vom gesamtgesellschaftlichen Standpunkt auf dem Grundpostulat der Vorzugswürdigkeit einer potentiellen paretianisehen Verbesserung der Wohlfahrt aller Individuen zusammengenommen. Dabei vernachlässigte weitere gesellschaftspolitische Aspekte, insbesondere Wirkungen neuer Maßnahmen auf die Verteilung von Einkommen und Gesundheitszuständen in der Bevölkerung, können nur als zusätzliche Bewertungsdimensionen mitbeschrieben werden. Ihre Zusammenfassung in sogenannten Nutzwertanalysen ist nur relativ willkürlich möglich und mit Manipulationsgefahren verbunden. Die Bewertung diagnostischer Neuerungen erfordert keine anderen Methoden als die in der NKA entwickelten. Die Erfassung von Kosten oder deren Einsparung im diagnostischen Bereich, ist nur etwas subtiler zu interpretieren. Ferner ist der Nettonutzen einer besseren Präzision der Diagnose eigentlich nur mit Hilfe der statistischen Entscheidungslehre (ihrerseits ein Zweig der Nutzentheorie) als Erwartungsgröße erfaßbar; praktisch wird man sich aber nur auf fachmännische Urteile über veränderte Häufigkeiten von Therapien abstützen. Die Vorte-ile von Früherkennungsverfahren und Schnelldiagnosen stellen keine zusätzlichen Bewertungsprobleme dar, wirken aber vor allem auf bestimmte Kostenelemente ein, z.B. auf die mit vorübergehenden Fehltherapien verbundenen Kosten. Insgesamt treten immer nur neue Varianten der gleichen grundsätzlichen Evaluierungsfragen auf.
Year of publication: |
1987
|
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Authors: | Gäfgen, Gérard |
Publisher: |
Konstanz : Universität Konstanz, Fakultät für Wirtschaftswissenschaften und Statistik |
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freely available
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