Ein Leben frei von Hunger ist ein bedeutender Bestandteil der Lebensqualität. Um die Ernährungssituation in Afrika südlich der Sahara (ASS) zu quantifizieren, bedient sich die Studie der Methoden der anthropometrischen Wirtschaftsgeschichte. Eine unzureichende Ernährung sowie ein hoher Nahrungsbedarf beeinträchtigen die körperliche Entwicklung von Menschen. Die Arbeit nutzt diesen biologischen Zusammenhang und analysiert Körpergrößen von mehr als 160 000 erwachsenen Frauen aus 28 afrikanischen Ländern. Grundlage hierfür sind die DHS-Erhebungen, eine neue und umfassende Quelle anthropometrischer Daten für Afrika.Wie ist die Ernährungssituation in ASS in den 1960ern einzuschätzen? Wie entwickelte sich die Ernährungssituation 1950-1980? Welche Faktoren können den Ernährungsstatus im Querschnitt und über die Zeit erklären? Im Mittelpunkt des Interesses stehen hierbei grundlegende Faktoren auf Länderebene. Welchen Einfluss übte beispielsweise das epidemiologische Umfeld in einem Land aus? Ging der Ernährungsstatus afrikanischer Bevölkerungen mit der wirtschaftlichen Entwicklung einher? Wirkte sich die von vielen afrikanischen Staaten betriebene Importsubstitutionspolitik negativ auf die Ernährung aus?Die Untersuchung zeigt, dass die Ernährungssituation in ASS in den 1960ern positiv zu beurteilen ist. Die zeitliche Entwicklung schließt jedoch eine optimistische Bewertung aus: In einer nicht unbeträchtlichen Anzahl afrikanischer Staaten stagnierte oder sanken die mittleren Körpergrößen zwischen 1950 und 1980. Zwar verbesserte sich in vielen afrikanischen Ländern der Ernährungsstatus bis 1965, danach folgte jedoch eine Trendwende, von der kaum ein afrikanisches Land verschont blieb. Im weltweiten Vergleich stellt dies eine Ausnahme dar und spricht für eine Ernährungs- oder Gesundheitskrise. Einen signifikanten Erklärungsbeitrag für die Ernährungsunterschiede in ASS liefern neben dem Angebot an Proteinen hauptsächlich Variablen, die dem Krankheitsumfeld zuzuordnen sind und die auf die negativen Auswirkungen eines hohen Nahrungsbedarfs schließen lassen. Insbesondere das menschenfeindliche Klima Afrikas rief eine Vielzahl von Krankheiten hervor, welche, wie ein eigens erstellter Malariaindex zeigt, die afrikanischen Körpergrößen maßgeblich beeinflussten. Ein nachweisbarer Effekt ging ebenso von der Säuglings- und Kindersterblichkeit aus. Als signifikante Determinanten der Ernährungsunterschiede über die Zeit erwiesen sich wiederum die Säuglingssterblichkeit sowie Dürren, welche sich insbesondere in den Sahel-Staaten um 1970 ereigneten. Des Weiteren beeinflussten auch Bürgerkriege, die wirtschaftliche Entwicklung und der Außenhandel die Ernährung der afrikanischen Bevölkerungen.Nur wenig ist bislang über das Niveau oder die Entwicklung der Ungleichheit in ASS für die Zeit vor 1980 bekannt. Anthropometrische Methoden haben das Potential, diese Wissenslücke zu reduzieren. Körpergrößenverteilungen erlauben Rückschlüsse auf eine ungleiche Allokation ernährungs- und gesundheitsrelevanter Güter in einem Land: Die durch soziale Ungleichheit hervorgerufene Varianz addiert sich zur biologischen Varianz der Körpergrößen. Ein anthropometrisches Maß, das auf diesem Zusammenhang basiert, ist der Variationskoeffizient der Körpergrößen: Er misst die Ernährungsungleichheit innerhalb einer Bevölkerung und kann neue Einblicke in die Entwicklung und räumlichen Seiten der Ungleichheit liefern. Die Überprüfung der Korrelation mit den wenigen verfügbaren Daten zur Einkommensungleichheit ergibt einen positiven Zusammenhang. Die Ernährungsungleichheit zwischen und innerhalb von 200 administrativen Regionen während der 1960er wird bestimmt und kartographiert. Eine Regressionsanalyse testet die Erklärungskraft möglicher Determinanten der regionalen Ungleichheit, darunter die Spezialisierung auf Viehwirtschaft, den Wechsel von Subsistenzwirtschaft hin zu Cash-Crops, Existenz und Art von Industrien und Bodenschätzen, periphere Lage, Bildung sowie ethnische Heterogenität.Ernährung wird ebenso als erklärender Faktor für Bürgerkriege untersucht. Bisher konzentrierte sich die quantitative Literatur auf andere unzureichende - Determinanten wie das politische System, ethnische Heterogenität, Armut und Primärgüterabhängigkeit. Es existieren jedoch überzeugende Argumente sowie qualitative Belege, dass in Landwirtschaft und Ernährung Ursachen für gewaltsame Konflikte liegen. Die Frage, ob Ernährung ein Auslöser von Bürgerkriegen ist, ist äußerst bedeutend. Bürgerkriege verstärken Ernährungsprobleme. Falls Ernährungskrisen ebenso die Wahrscheinlichkeit eines Kriegsausbruchs erhöhen, ergibt sich ein Teufelskreis. Eine Panel-Analyse zeigt, dass Ernährungskrisen den Bürgerkriegen signifikant vorausgingen. In einer Analyse der Standortwahl von Rebellengruppen bestätigt sich ebenso, dass Ernährung und Landwirtschaft Bürgerkriege in ASS signifikant erklären können.