Haushaltspolitik im Zeichen der »Zeitenwende« – auf was müssen wir zugunsten der Verteidigung verzichten?
Trotz des Commitments zu dem NATO-Ziel reichen die Ausgabenpläne der Bundesregierung nicht aus, um das vereinbarte NATO-Ziel, 2 % des Bruttoinlandsprodukts für Verteidigung auszugehen, zu erfüllen. Hubertus Bardt, Institut der deutschen Wirtschaft, Köln, stellt fest, dass die dauerhafte Lücke von fast 40 Mrd. Euro pro Jahr an regulären Verteidigungsausgaben, die spätestens nach Ende des Sondervermögens auftritt, in der bisherigen Haushaltsplanung unberücksichtigt und ein wesentliches Ausgabenrisiko für den Bundeshaushalt ist. Désirée I. Christofzik, Deutsche Universität für Verwaltungswissenschaften, Speyer, zeigt, dass die Einrichtung des Sondervermögens Bundeswehr keine Dauerlösung sein kann. Wenn die Verteidigungsausgaben anhaltend höher bleiben sollen, müsse dies mittelfristig im Kernhaushalt abgebildet werden und verdeutliche einen beachtlichen Reformbedarf. Gehe man von den derzeitigen Rahmenbedingungen aus, müssten bestimmte Ausgaben in Relation zum BIP deutlich heruntergefahren oder aber die Einnahmen des Bundes erhöht werden. Nach Ansicht von Dirk Meyer, Helmut-Schmidt-Universität, Universität der Bundeswehr Hamburg, sollten vorrangig Wirtschaftlichkeitspotenziale bei Beschaffung und Einsatz erschlossen werden. Anstelle des Sondervermögens Bundeswehr könnten die Verteidigungsausgaben durch Haushaltsumschichtungen und einer befristeten Ergänzungsabgabe "Landesverteidigung" aufgestockt sowie zur Haushaltsentlastung EU-Mittel zur Refinanzierung der militärischen Ukraine-Hilfe in Anspruch genommen werden. Martin Junkernheinrich, Rheinland-Pfälzische Technische Universität Kaiserslautern, sieht die Haushaltspolitik auf dem Weg in die Überforderungsfalle. Der hohe und wachsende Finanzbedarf sei durch die laufenden Einnahmen des Staates nicht zu finanzieren und erst recht nicht mit einer "schwarzen Null" kompatibel. Eine leichte Lösung für diese fiskalische Überforderungsfalle gebe es nicht. Zudem stelle sich die Frage, inwieweit insbesondere die Bundesländer und auch die Kommunen, die fiskalisch bisher gut durch die Krise gekommen seien, ihren Beitrag zur gesamtstaatlichen Krisenbewältigung leisten könnten bzw. sollten. Krisenbewältigung sei keine alleinige Bundesaufgabe. Martin Jacob, WHU – Otto Beisheim School of Management, fragt, wie angesichts der umfassenden Investitionen vor allem im Bereich Verteidigung Steuereinnahmen generiert werden können, ohne die Wirtschaft – bei gleichzeitiger Gewährleistung eines fairen Steuersystems – zu stark zu belasten. Er schlägt vor, die Einkommensteuer auf höhere Einkommen, die z.B. über der Beitragsbemessungsgrenze zur Rentenversicherung liegen, zu erhöhen. Dies sei zum einen mit dem Argument der sozialen Gerechtigkeit vereinbar, und zum anderen würde es die negativen Investitionswirkungen von Steuern reduzieren. Ebenso notwendig sei es, die Verwendung der Steuermehreinnahmen transparent und nachvollziehbar darzustellen. Silke Übelmesser, Universität Jena, betont, dass der erhöhte Sicherheitsbedarf nur einen kleineren Anteil an den nötigen Mehrausgaben hat. Die Haushaltspolitik müsse gleichzeitig noch andere Transformationsaufgaben – etwa den Klimawandel und die demografische Entwicklung – berücksichtigen. Die nötigen Anpassungen für Wirtschaft und Gesellschaft seien nicht ohne Wohlstandsverlust zu bewältigen. Dabei gehe es auch um die Frage der intergenerativen Lastenverteilung. Während eine Steuerfinanzierung die heutige Generation stärker in die Pflicht nehme, bedeute eine Schuldenfinanzierung eine stärkere Belastung künftiger Generationen. Anpassungen im Steuersystem in Richtung einer stärkeren ökologischen Ausrichtung und der Abbau insbesondere von klimaschädlichen Subventionen könnten Spielräume schaffen. Um dauerhaft die sicherheitspolitischen Verpflichtungen erfüllen zu können, müssen die Verteidigungsausgaben auch im Kernhaushalt ansteigen. Aktuell findet aber das Gegenteil statt. Laut Florian Dorn und Marcel Schlepper, ifo Institut, sinkt der Verteidigungsetat des Bundesverteidigungsministeriums preisbereinigt. Diese Entwicklung müsse durch das Sondervermögen kompensiert werden. So lange sich die Verteidigungsausgaben im Kernhaushalt nicht auf 2 % des BIP zubewegen, bestehe erheblich Zweifel, dass die Zeitenwende auch nach dem Auslaufen des Sondervermögens ausreichend finanziert werde. Ein erster Schritt wäre, den Kernhaushalt für Verteidigung zumindest jährlich um die Inflation oder das nominale Wirtschaftswachstum zu erhöhen.
Year of publication: |
2023
|
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Authors: | Bardt, Hubertus ; Christofzik, Désirée I. ; Meyer, Dirk ; Junkernheinrich, Martin ; Jacob, Martin ; Übelmesser, Silke ; Dorn, Florian ; Schlepper, Marcel |
Published in: |
ifo Schnelldienst. - ISSN 0018-974X. - Vol. 76.2023, 07, p. 01-31
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Publisher: |
München : ifo Institut - Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung an der Universität München |
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