Seit Beginn des Ackerbaus hat sich eine an die Kulturarten angepasste Ackerbegleitflora und -fauna entwickelt. Intensivierungsprozesse der landwirtschaftlichen Produktion führten in den letzten Jahrzehnten zu einer stetig voranschreitenden Umstrukturierung vieler Agrarlandschaften und einer Abnahme der Habitatdiversität. Diese Entwicklung war verbunden mit einem dramatischen Verlust der Artenvielfalt und einem drastischen Rückgang der Populationsgrößen von Segetalarten. Eine Reihe von Studien zeigt aber, dass eine artenreiche Segetalflora eine entscheidende Rolle bei der Erhaltung der Funktionsfähigkeit von Agrar-Ökosystemen spielt, z.B. durch Förderung höherer trophischer Ebenen oder durch die Bereitstellung von Ökosystemdienstleistungen. Die vorliegende Arbeit untersucht die Auswirkungen der ackerbaulichen Intensivierung auf die Segetalvegetation in Mitteldeutschland sowohl auf Landschafts- als auch auf Populationsebene. Die Ergebnisse dieser Untersuchungen wurden zur Evaluierung bestehender Projekte zur Förderung der Segetalflora genutzt und liefern eine Grundlage für zukünftige Schutzstrategien. Die Ergebnisse der Untersuchungen zeigen eine dramatische Verarmung der Segetalvegetation auf allen wichtigen Hierarchiestufen. Auf europäischer Ebene konnte für alle europäischen Länder nachgewiesen werden, dass ein höherer Weizenertrag auch mit einer erhöhten Zahl gefährdeter Segetalarten einhergeht. So hatte jede zusätzlich produzierte Tonne Weizen/ha eine Gefährdung von etwa zehn weiteren Segetalarten Ländern zur Folge. Dabei scheinen die an bestimmte Kulturarten angepassten Spezialisten am stärksten vom Aussterben bedroht zu sein. Die Untersuchungen belegen, dass der verstärkte Einsatz von Herbiziden in den EU-Mitgliedstaaten in Mittel-und Nord-Westeuropa zu einer Selektion ausgewählter Segetalarten geführt hat, die an die heutigen nivellierten Standortbedingungen angepasst ist. Auf Gesellschaftsniveau, zeigen unsere Untersuchungen deutlich, dass die Intensivierung der Nutzung von Agrar-Ökosystemen zu massiven Verschiebungen in der Zusammensetzung von Segetalgesellschaften geführt hat. In den 1950er/60er Jahren konnte die Mehrzahl der Vegetationsaufnahmen noch auf Assoziationsebene zugeordnet werden, während sich aktuelle Vegetationserhebungen oft nur noch auf der Ebene höherer Syntaxa wie Verband, Ordnung, Klasse oder als floristisch stark verarmte Fragment-Gesellschaften einstufen ließen. In diesem Zusammenhang kann in den letzten fünf Jahrzehnten auch eine Verringerung des regionalen Artenpools um 23 %, ein dramatischer Artenverlust auf Plot-Ebene (mittlerer Verlust von 17 Arten pro Aufnahme) sowie stark zurückgehende Populationsgrößen kennzeichnender Arten belegt werden. Die Ergebnisse verdeutlichen auch, dass die Intensität der Veränderungen in der Vegetationszusammensetzung zwischen den unterschiedlichen Böden variierte, wobei sandige Standorte weniger stark betroffen waren. Des Weiteren hat sich der mittlere Deckungsgrad der Segetalarten drastisch auf ein Zehntel des früheren Wertes reduziert, wohingegen der Deckungsgrad der Kulturpflanzen anstieg und die Kulturpflanzenvielfalt abnahm. Archäophyten, Neophyten und die meisten Grasartigen zeigten zum Teil starke Frequenzverluste ähnlich denen von einheimischen krautigen Pflanzen, aber nur geringe Veränderungen in ihrem Anteil an der Gesamtdeckung der Segetalarten. Der beobachtete Anstieg der „Ellenberg-Zeigerwerte“ für Stickstoff und Bodenreaktion deutet darauf hin, dass die höhere Düngergaben in Kombination mit der heute üblichen Anwendung von Herbiziden und den sehr dicht stehenden Kulturpflanzenbeständen als Hauptursachen für Veränderungen in der Segetalvegetation angesehen werden können. Der beobachtete Trend einer Vereinheitlichung der Gesellschaftstrukturen von Segetalarten, bei der Spezialisten und diagnostisch wichtige Arten zurückgehen und die Anzahl und Abundanz der Generalisten zunimmt, spiegelt die Vereinheitlichung von Anbausystemen und der Optimierung des Nährstoffangebotes in den letzten Jahrzehnten wider. Der beobachtete Rückgang der Populationsgröße, insbesondere bei selten gewordenen Arten mit geringer Populationsgröße (Adonis aestivalis L. und Consolida regalis S.F. Gray), wirkten sich auf die genetische Vielfalt dieser Populationen aus. Da die genetische Struktur zwischen den Arten und Populationen variiert, ist in diesem Zusammenhang auch die Komplexität der Landschaftsstruktur entscheidend. Anders als erwartet war die genetische Diversität innerhalb einzelner Populationen in weniger stark strukturierten Landschaften wesentlich höher als innerhalb von Populationen in strukturreichen Landschaften. Populationen aus strukturreichen Landschaften unterschieden sich genetisch zudem stärker voneinander als Populationen strukturärmerer Landschaften. Darüber hinaus wurde bei der fremdbefruchtenden C. regalis eine höhere Diversität innerhalb der Populationen festgestellt, während die selbstbefruchtende A. aestivalis eine geringere Diversität innerhalb der Populationen aufwies. Allerdings zeigten weder A. aestivalis noch C. regalis eine signifikante „Isolation-by-Distance“ unabhängig von der Landschaftsstruktur. Zusammenfassend zeigt die vorliegende Arbeit, dass auf allen Hierarchiestufen von der kontinentalen Ebene, über die Phytocoenosen bis hin zu Populationen einzelner Arten starke Veränderungen in den Segetalgesellschaften stattgefunden haben. Um das nationale Ziel der Erhöhung der Populationsgrößen der Mehrzahl der Arten in landwirtschaftlich genutzten Ökosystemen bis 2015 zu erreichen, sind neue, effektive und innovative Maßnahmen dringend erforderlich. Um den fortwährenden Biodiversitätsverlust in der Agrarlandschaft entgegenzuwirken ist vor allem eine entsprechende Ausgestaltung der Gemeinsamen Europäischen Agrarpolitik (GAP) für die Förderperiode 2014-2020 von zentraler Bedeutung.