Landesmindestlöhne : vom Wegbereiter zum Auslaufmodell?
Till Kathmann, Irene Dingeldey
Angesichts der Ausweitung des Niedriglohnsektors und einer abnehmenden Tarifbindung erhält die Einführung von Mindestlöhnen eine zunehmende Bedeutung hinsichtlich der Eindämmung dieser Tendenzen. Gleichwohl werden in der bisherigen Forschung vornehmlich Veränderungen der Lohnstruktur, Beschäftigungseffekte und gelegentlich auch fiskalische Effekte von Mindestlöhnen diskutiert. Dabei fehlt zum einen die Berücksichtigung der Einbettung des Mindestlohns in alternative Regelungssysteme (Tariftreue- und Vergabegesetzgebung). Zum anderen mangelt es an empirischen Studien, die die Umsetzung von Mindestlohnregelungen und speziell von Landesmindestlohnregelungen untersuchen. Die Ergebnisse des Forschungsprojektes dokumentieren daher erstens die Ausgestaltung der Mindestlohn- und Tariftreueregelungen im Zusammenhang mit den länderspezifischen Vergabegesetzen. Zweitens wird der Implementationsprozess von Landesmindestlohnregelungen anhand von Fallstudien zu den Tariftreue-, Vergabe- und Landesmindestlohnregelungen in den Bundesländern Bremen, Schleswig-Holstein, Brandenburg und Berlin mit Hilfe von Dokumentenanalysen und Experteninterviews analysiert. Ein weiteres Ziel ist es, die Ergebnisse für die Analyse der Genese und Implementation des im Januar 2015 eingeführten bundesweiten Mindestlohns fruchtbar zu machen. Zentrale Ergebnisse sind, dass sich die jeweiligen gesetzlichen Regulierungen, die Implementation und vor allem auch die konkrete Kontrolle der Landesmindestlöhne z. T. erheblich unterscheiden. Angesichts einer generell geringen Kontrolldichte in allen untersuchten Bundesländern scheinen zentral koordinierten Kontrollinstitutionen gleichwohl effizienter zu sein. Einschätzungen zentraler Akteure hinsichtlich der Praktikabilität und (zukünftigen) Wirksamkeit von Landesmindestlöhnen divergieren stark: So werden die Landesmindestlohnregelungen neben anderen Mindestlohnregelungen als zentrale Wegebereiter mit Blick auf den bundesweiten gesetzlichen Mindestlohns gesehen. In den untersuchten Branchen der Gebäudereinigung und der Sozialwirtschaft zeigen einzelne Arbeitgeber Sympathien gegenüber der Einführung von Mindestlöhnen, während deren Verbandsvertreter sich eher ablehnend verhalten. Äußerst kontrovers ist zudem der weitere Umgang mit den bestehenden Landesmindestlohnregelungen: Neben der Abschaffung der Landesmindestlohnregelungen, werden ein Verharren im Status quo aber auch die Weiterentwicklung der bestehenden Regelungen diskutiert. Insgesamt deuten die Ergebnisse darauf hin, dass die einzelnen Landesregierungen die Einführung von Landesmindestlöhnen "als politisches Projekt" verstanden, um letztlich die Verwirklichung eines bundesweiten Mindestlohns zu unterstützen.