Mindestlohnbegleitforschung : Überprüfung der Ausnahmeregelung für Langzeitarbeitslose
Forschungsauftrag des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) ; Philipp vom Berge, Isabell Klingert, Sebastian Becker, Julia Lenhart, Simon Trenkle, Matthias Umkehrer ; Herausgeber Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit
Mit der Verabschiedung des Mindestlohngesetzes wurde zum 1. Januar 2015 ein allgemeiner Mindestlohn in Deutschland eingeführt, der flächendeckend 8,50 Euro/Stunde beträgt. Für Arbeitsverhältnisse von Beschäftigten, die unmittelbar vor Beginn der Beschäftigung langzeitarbeitslos im Sinne des § 18 Abs. 1 SGB III waren, gilt der Mindestlohn in den ersten sechs Monaten der Beschäftigung allerdings nicht. Die Ausnahmeregelung wurde mit einem Evaluationsauftrag versehen, dessen Ergebnisse nun vorliegen. Der Bericht gibt einen Überblick über die Erwartungen an diese Ausnahmeregelung, diskutiert ihre Bedeutung in der Praxis und prüft ihre Folgen empirisch. Die Eingliederung von Langzeitarbeitslosen in den Arbeitsmarkt gilt als besonders schwierig. Die Gründe hierfür sind vielfältig. Oftmals liegen mehrere Vermittlungshemmnisse vor, die sich zum Teil bedingen und die einer Beschäftigungsaufnahme im Weg stehen. Diese reichen von gesundheitlichen Einschränkungen über mangelnde Qualifikation, Flexibilität oder Motivation bis hin zu unrealistischen Vorstellungen beim Gehalt oder Vorbehalten der Arbeitgeber. Ist die Jobsuche von Langzeitarbeitslosen erfolgreich, sind die Einstiegslöhne häufig relativ niedrig. Vor dem Hintergrund dieser Problematik wurde die Ausnahmeregelung kontrovers diskutiert. Einerseits wurde mit ihr die Hoffnung verbunden, einer möglichen Verschlechterung der Integrationschancen durch den Mindestlohn entgegen zu wirken. Andererseits wurde bemängelt, sie könnte eine Diskriminierung von Langzeitarbeitslosen darstellen, demotivierend sein und die Beschäftigungsstabilität von Langzeitarbeitslosen weiter verschlechtern. Außerdem könnten wirkungsvollere, bereits vorhandene Instrumente zur Förderung von Langzeitarbeitslosen eingesetzt werden. Es zeigt sich, dass die Ausnahmeregelung nur in sehr wenigen Fällen angewandt wird. Dies könnte einerseits daran liegen, dass Arbeitgeber und Arbeitssuchende wenig Anreize haben, sie zu nutzen. Andererseits ist der geringe Informationsstand der Betroffenen zu beachten: Viele Langzeitarbeitslose kennen die Regelung nicht. Eine Befragung von sechs Jobcentern zeigt, dass diese die Ausnahmeregelung nicht als mögliche Vermittlungsstrategie ansehen. Sie ginge an den wahren Herausforderungen bei der Betreuung von Langzeitarbeitslosen vorbei. Damit haben die Jobcenter auch wenig Anlass, ihren Kunden zu einer Bescheinigung der Langzeitarbeitslosigkeit zu raten. Es finden sich auch keine Belege, dass Arbeitgeber verstärkt Langzeitarbeitslose unter Mindestlohn einstellen. Zwar hatte die Einführung des Mindestlohns einen deutlichen Einfluss auf die Einstiegslöhne im Niedriglohnbereich: Löhne unter 8,50 Euro/Stunde wurden von den Befragten deutlich seltener angegeben als noch 2014. Es gibt jedoch keine Hinweise, dass Langzeitarbeitslose bei ihrer Einstellung aufgrund der Ausnahmeregelung systematisch häufiger unter Mindestlohn bezahlt werden als ihre Kolleginnen und Kollegen. Dies zeigt insbesondere ein Vergleich der Einstiegslöhne von Personen, die kurz vor Ihrer Einstellung langzeitarbeitslos wurden, mit solchen, die es gerade noch nicht waren. Ökonomisch relevante Lohneffekte der Ausnahmeregelung lassen sich somit nicht nachweisen. Für Personen, die schon sehr lange langzeitarbeitslos sind, sind Lohneffekte aus methodischen Gründen schwieriger zu ermitteln. Aber auch hier werden keine Effekte anhand der untersuchten Daten ersichtlich. Ohne entsprechende Lohneffekte sind Beschäftigungseffekte der Ausnahmeregelung aus theoretischer Sicht nicht plausibel. Tatsächlich lassen sich auch keine solchen Effekte finden: Die Einstellungswahrscheinlichkeit nimmt auch nach 2014 unverändert mit zunehmender Arbeitslosigkeitsdauer ab. Eine Häufung von Einstellungen Langzeitarbeitsloser, entweder auf Kosten anderer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer oder zusätzlich zu diesen, ist nicht zu erkennen. Außerdem finden sich keine Hinweise auf Drehtüreffekte, d. h. eine Häufung von Entlassungen, wenn die Ausnahmeregelung sechs Monate nach der Einstellung ausläuft.