Raumstruktur im Internetzeitalter: Tod der Distanz? Eine empirische Analyse
Bedeutet das Internet das "Ende der Geographie", den "Tod der Distanz" oder gar den "Niedergang der Städte"? Solche futuristisch anmutenden Hypothesen wurden im Zusammenhang mit der zunehmenden Verbreitung des Internets als neuer Basistechnologie geäußert. Sie erscheinen aber bei weitem überzogen. Stark und nachhaltig sinkende räumliche Transaktionskosten können in der Tat Spezialisierungsmuster von Standorten verändern: - Produktionsprozesse, für die vorwiegend digitalisierbare Informationen wichtig sind, verlieren durch das Internet an Raumbindung. Sie werden in noch stärkerem Maße als bislang aus Kostengründen weiter in Richtung Peripherie verlagert, wobei sich die Peripherie im Prozess der Globalisierung bis nach Osteuropa, Indien und China erstrecken kann. - Produktionsaktivitäten, die einen hohen Anteil an gebundenem Wissen ("tacit knowledge") enthalten und die der persönlichen ("face to face") Kontakte bedürfen, werden dagegen eher zu einer räumlichen Konzentration in den Zentren neigen. Das bedeutet: Hauptquartiere von Unternehmen unterschiedlicher Branchen ballen sich an Standorten mit einem reichhaltigen Angebot an unternehmensbezogenen Dienstleistern. Für Deutschland zeigt die empirische Analyse der regionalen Beschäftigungsstrukturen, dass die Spezialisierung von Kernstädten auf Tätigkeiten mit einem hohen Anteil an persönlichen Kontakten in der Tat im Zeitraum von 1976 bis 2002 deutlich zugenommen hat. Das gilt besonders für die jüngste Vergangenheit seit Mitte der 90er Jahre. Dass die Bedeutung urbaner Strukturen im Internetzeitalter gerade bei innovationsorientierten Unternehmen eher zunimmt, zeigt sich markant in den Standortentscheidungen der Unternehmen, die im "Neuen Markt" an der Börse gelistet wurden. Sie tendieren zur Clusterbildung in reichen Regionen mit hoher Arbeitsproduktivität und hoher Konzentration ökonomischer Aktivität. Die Ergebnisse der empirischen Analyse deuten darauf hin, dass das Vordringen des Internets bestehende regionale Disparitäten (die "technologische Lücke" zwischen Zentrum und Peripherie) eher verschärft als vermindert, und zwar trotz einer Dezentralisierung von standardisierten Fertigungstätigkeiten. Dies bedeutet, dass die Attraktivität der Metropolen beim Wandel von einem früher überwiegend sektoralen hin zu einem funktionalen Spezialisierungsmuster nicht sinken dürfte, nach Jahren des Bedeutungsverlustes aufgrund allgemeiner Dezentralisierungstendenzen könnte die Rolle urbaner Zentren im fortschreitenden Internetzeitalter sogar wieder wichtiger werden. Das Internet wird die Städtehierarchie akzentuieren. Dies wird erhebliche Anpassungserfordernisse für Unternehmen und Verbraucher sowie für die Stadt- und Raumplanung mit sich bringen. Der Strukturwandel wird auch den städtischen Immobilienmarkt nachhaltig beeinflussen. Daher wird es darauf ankommen, gegebenenfalls auftretende Probleme bei der Nutzungskonkurrenz von Flächen durch eine konsistente Gestaltung der einschlägigen Gesetze und Verordnungen zu entschärfen.