Reorganisation der Arbeitsmarktpolitik: Märkte, Politische Steuerung und Netzwerke der Weiterbildung für Arbeitslose in der Europäischen Union
In den vergangenen Jahren . wurde die Arbeitsmarktpolitik in einigen Mitgliedsländern der Europäischen Union (EU) grundlegend reformiert, in anderen EU-Ländern sind solche Reformen im Gange oder stehen zur Debatte. Kennzeichnend für diese Entwicklung ist weder die Einführung neuer Maßnahmen noch die zum Teil beachtliche Veränderung des Umfangs bestehender Programme. Das Gemeinsame und Besondere dieser Reformen ist die Reorganisation der Arbeitsmarktpolitik, wobei vor allem mehr Wettbewerb und die Verlagerung der Zuständigkeiten nach unten die Anreize zu effektiverem Handeln vor Ort stärken sollen. Privatisierung, Regionalisierung, Dezentralisierung und Vernetzung sind deshalb die zentralen Stichworte der Örganisationsreform. Wie steht es mit den Erfolgsaussichten dieser Reformen und was können wir daraus lernen? Diese Studie will sich der Beantwortung dieser Fragen in drei Schritten annähern: Erstens durch die Entwicklung eines analytischen Bezugsrahmens zur Evaluierung solcher Organisationsreformen (Kapitel 1), zweitens durch die Anwendung dieses Bezugsrahmens auf die Reorganisation der Arbeitsmarktpolitik in vier ausgewählten Ländern - Dänemark, Deutschland, Großbritannien, Niederlande - mit Schwerpunkt auf der Weiterbildung für Arbeitslose (Kapitel 2); und drittens in einem theoretischen Diskurs zu den organisatorischen Bedingungen einer erfolgreichen Weiterbildung für Arbeitslose (Kapitel 3). Der analytische Bezugsrahmen zielt auf eine sozio-ökonomische Synthese von Handlungs-, System- und Institutionentheorie. Er unterscheidet vier Filter, die bei einer vollständigen Evaluierung von Organisationsreformen zu berücksichtigen sind: Politikregimes, die Art und Inhalt von Programmen determinieren; Implementationsregimes, die die Effektivität der Umsetzung von Programmen beeinflussen; Anreizregimes, die letztlich die Akzeptanz der Programme bei den Politikadressaten bestimmen; und schließlich die Arbeitsmarktstruktur, die letztlich über den arbeitsmarktpolitischen Erfolg entscheidet. Dabei ist bei der Messung des Regimeerfolgs sowohl zwischen individuellen und gesellschaftlichen (Mikro-Makro) als auch zwischen ökonomischen und sozialen (Effizienz und Gerechtigkeit) Leistungskriterien zu unterscheiden. Die ersten drei Filter werden jeweils noch einmal in vier analytische Dimensionen untergliedert: in die Werte- und Motivationsstruktur, Kooperations- und Konfliktstruktur, Marktstruktur und Rechtsstruktur. Für alle vier Filter werden Erfolgsindikatoren diskutiert und soweit wie möglich operationalisiert. Organisation und Reorganisation der Arbeitsmarktpolitik in den vier ausgewählten Ländern werden dann diesem Raster entsprechend beschrieben und analysiert; synoptische Übersichten und Tabellen fassen die empirischen Ergebnisse zusammen. Die Studie kommt zum Schluß, daß die Hoffnungen, das Heil allein in Privatisierung und Dezentralisierung zu suchen, trügerisch sind. Vieles spricht dafür, daß die Organisation der Arbeitsmarktpolitik sich eines Mix von Koordinationsinstrumenten bedienen muß, in dem die Stärkung von Wettbewerb oder die Verlagerung der Verantwortung nach unten wesentliche, aber nicht die ausschließlichen Elemente sein können. Dieser Mix ist nicht beliebig, sondern vom Kontext und vom Steuerungsziel abhängig. In Zukunft wird es kein dominantes gesellschaftliches Steuerungsparadigma mehr geben. Weder Märkte noch zentrale politische Steuerung (Hierarchie) und schon gar nicht die vielbeschworenen Netzwerke können leitende Richtschnur für die Reorganisation zukunftsgerechter Arbeitsmarktpolitik sein. Zweifellos muß Arbeitsmarktpolitik die kooperativen Beziehungen verstärken; zweifellos müssen Vielfalt und Wettbewerb zwischen Anbietern von Weiterbildung gestärkt werden; zweifellos ist die effektive Kontrolle der Arbeitsverwaltung durch Dezentralisierung und erfolgsorientierte Budgetzuweisung zu verbessern; zweifellos sind aber auch eine aktivere zentrale Steuerung von Qualitätsstandards und ein entsprechendes Monitoring notwendig; und zweifellos ist die Revitalisierung einer gemeinschaftlichen Weiterbildungsethik, die das Recht auf Weiterbildung - wenn nicht de jure, so doch de facto - institutionalisiert, eine weitere notwendige Ergänzung zu den erwähnten Organisationsreformen. Kurz: Die paradoxe oder gar widersprüchlich erscheinende Vielfalt von Anforderungen an eine erfolgreiche Organisationsreform setzt das Prinzip der flexiblen Koordination voraus, dessen grundlegende Elemente am Schluß der Arbeit resümiert werden.
Year of publication: |
1994
|
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Authors: | Schmid, Günther |
Institutions: | Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) |
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