Strukturelle Arbeitslosigkeit in der BRD: Beiträge zur Problemanalyse der Unterbeschäftigung und Überlegungen zu arbeitsmarktpolitischen Konsequenzen
Der erste Teil der Arbeit enthält einen Uberblick und eine Einschätzung der bisherigen Diskussion über die strukturelle Arbeitslosigkeit. Insbesondere wird der Angebot/Nachfrage-Ansatz kritisiert, der Arbeitslosigkeit vornehmlich technisch am Verhältnis der offenen Stellen zu den Arbeitslosen unterscheidet. Um die Abhängigkeit der Arbeitslosigkeit von Funktionsmechanismen des Arbeitsmarkts zu berücksichtigen, wird ein systemtheoretischer Strukturbegriff eingeführt. Er soll nicht nur die äußeren, sichtbaren Zusammenhänge, sondern auch die innere Dynamik und Funktionsweise des Arbeitsmarkts erfassen, und die äußeren Strukturrelationen als Folge eines komplexen Systems ökonomischer, sozialer, rechtlicher und politischer Zuordnungsregeln erklären. Auch wenn ein solcher Strukturbegriff das Problem der Arbeitslosigkeit analytisch zu komplizieren scheint, so ist er doch zwingend notwendig, um die erforderlichen Schritte zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit nicht irrezuführen. Vorschläge zu einem neuen Verständnis von Arbeitslosigkeit und zurUrsachenanalyse werden in diesem Zusammenhang entwickelt. Der zweite, empirische Teil untersucht die Verteilung der Arbeitslosigkeit in der Bundesrepublik mit Hilfe a) einer Zeitreihenanalyse der regionalen Verteilung der Arbeitslosigkeit auf der Ebene der Arbeitsamtsbezirke 1965-1976, und b) einer Zeitreihenanalyse der alters-, status- und geschlechtsspezifischen Umverteilung der Arbeitslosigkeit 1966-1976. Unter anderem wird damit die These des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (lAB) geprüft, die Ungleichverteilung der Arbeitslosigkeit in regionaler und beruflicher Hinsicht hätte tendenziell abgenommen, was ein Hinweis dafür sei, daß die Arbeitslosigkeit heute zu einem geringeren Maß strukturell bedingt sei als 1966/67. Dieser These muß in einem entscheidenden Punkt widersprochen werden: Die relative Ungleichverteilung in der Rezession 1974/75 fällt zwar gegenüber 1966/67 stark ab, ist aber zum großen Teil eine natürliche Folge des höheren Niveaus der Arbeitslosigkeit. Die Verteilungsdynamik im Zeitverlauf läßt außerdem vermuten, daß bei länger andauernder Arbeitslosigkeit sowie in der Phase des. Aufschwungs ein umgekehrter Strukturalisierungseffekt die Ungleichverteilung zu Lasten von strukturschwachen Regionen und marginalen Erwerbspersonen weiter ansteigen läßt. Offenbar findet ein Prozeß der Aussiebung oder der Verdrängung marginaler Erwerbspersonen statt, der sich in einem erneuten Anstieg der Ungleichverteilung ausdrückt. Strukturelle Arbeitslosigkeit entstünde demnach weniger im wirtschaftlichen Abschwung, sondern vielmehr im Aufschwung, und sie entsteht weniger durch die Auslese bei Entlassungen (hier freilich auch), sondern durch die Auslese bei Einstellungen. Neben den Verteilungskurven enthält der empirische Teil Tabellen und Schaubilder in Zeitreihenform, die in dieser Weise noch nicht vorliegen: So die Arbeitslosenquoten untergliedert nach 8 Altersgruppen und kombiniert mit Status (Arbeiter und Angestellte) und/oder Geschlecht; Abweichungen dieser Arbeitslosenquoten vom jährlichen Durchschnittswert, welche Veränderungen in der Verteilungs struktur verdeutlichen. Diiese Analysen zeigen, daß sich der relative Arbeitsschutz der sozialen Kerngruppen zu Lasten der Randgruppen verstärkt hat. Wir stehen heute nicht vor der Situation allgemeiner Massenarbeitslosigkeit, sondern vor einer Situation, in der soziale Kerngruppen jeweils zur Vollbeschäftigung tendieren, soziale Randgruppen (Frauen, Jugendliche) dagegen entweder von Dauerarbeitslosigkeit, Unterbeschäftigung oder instabiler Beschäftigung betroffen sind. Im dritten Teil werden die Ergebnisse zusammengefaßt und Konsequenzen für die Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik erörtert - ausgehend von der im empirischen Teil bestätigten Annahme, daß Arbeitslosigkeit heute wesentlich mehr mit Strukturproblemen des Arbeitsmarkts zu tun hat als vielfach vermutet wird.
Year of publication: |
1977
|
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Authors: | Schmid, Günther |
Publisher: |
Berlin : Wissenschaftszentrum Berlin (WZB) |
Saved in:
freely available
Series: | WZB Discussion Paper ; IIM p 77-6 |
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Type of publication: | Book / Working Paper |
Type of publication (narrower categories): | Working Paper |
Language: | German |
Other identifiers: | 734811136 [GVK] hdl:10419/82962 [Handle] |
Source: |
Persistent link: https://www.econbiz.de/10010321838
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