Die Leitfrage der Dissertation lautet, inwieweit Verflechtungs- und Globalisierungsprozesse im ökonomischen Bereich mit einer Restrukturierung von Klassenbeziehungen, politischen Prozessen und kulturell-ideologischen Weltanschauungen bei jenen einhergehen, die an der Spitze der wirtschaftlichen Pyramide stehen. Daran schließt die Frage an, ob im gegenwärtigen Chile eine transnationale bzw. globalisierte Klasse von Unternehmern und Managern entstanden ist, deren ökonomische Interessen und soziokulturelle Reproduktionsmuster vom Nationalstaat weitgehend entkoppelt sind. Die These einer Transnationalisierung der Klassenbildung leitet die Untersuchung.
Mit dieser Arbeit wird das Ziel verfolgt, die theoretischen Arbeiten zu einer historisch neuartigen transnationalen Klassenbildung mit einer Fallstudie zu prüfen. Die vorliegende Untersuchung versteht sich als ein Beitrag zu einer transnationalen Geschichte, die den unterschiedlichen Graden der Überschneidung, Verbindung und Interaktion jenseits des Nationalstaats im Prozess der Klassenbildung nachgeht. Die Fragestellung in diesem Zusammenhang lautet, inwieweit Kapitalfraktionen bzw. Unternehmergruppen historische Muster transnationaler Verflechtung fortschreiben oder verändern.
Klassenbildungsprozesse – verstanden als soziales Handeln, bei dem Allianzen geschmiedet werden und gemeinsamen Vorstellungen zum Durchbruch verholfen werden soll – lassen sich nur in einer historisch-soziologischen Gesamtbetrachtung größerer Zeiträume erschließen. Deshalb wird, um die These einer transnationalen Klassenbildung zu prüfen, der Klassenbildungsprozess der besitzenden Klassen in Chile seit der Unabhängigkeit rekonstruiert. Klassenbildung wird dabei als umfassender Prozess behandelt, der unterschiedliche Staatsprojekte, Entwicklungsmodelle und Artikulationen mit der Zivilgesellschaft hervorbringt.
Um diesem Anspruch gerecht zu werden, werden die Hegemoniezyklen entlang definierter Parameter untersucht, die die Interaktion von Abhängigkeitsmustern, sozialen Kräften bzw. Klassenfraktionen, soziostrukturellen Veränderungen und die Transformation von Staatlichkeit erfassen.
Besondere Aufmerksamkeit erhalten naturgemäß der Block an der Macht und seine Binnenstruktur. Für unterschiedliche Perioden werden die beteiligten Fraktionen und ihre Allianzen, ihre Verbindungen mit ausländischen Akteuren und Handels- und Produktionsnetzwerken sowie ihre politischen Strategien analysiert. Die Untersuchung erfolgt entlang den Hegemoniezyklen in der chilenischen Wirtschafts- und Sozialgeschichte mit besonderer Berücksichtigung der Übergangsphasen und Umbrüche in der sozialen und politischen Ordnung.
Auf methodischer Ebene wird eine strukturelle Analyse materieller Prozesse mit Elementen der Machtstruktur- und Biographieforschung verbunden. Der historische Klassenbildungsprozess wird mit Sekundärliteratur und einer historisch-soziologischen Rekonstruktion von Unternehmerbiographien nachgezeichnet. Die empirische Erhebung fokussiert auf die zeitgenössischen Globalisierungsprozesse. Untersucht wird die materielle Basis ökonomischer Verflechtung in Form von ausländischen Direktinvestitionen, Joint Ventures und Investitionsstrategien der heimischen Unternehmer im In- und Ausland. Darüber hinaus fließen in die Untersuchung Interviews mit den leitenden Managern der 50 führenden Unternehmen in Chile ein, die einer Inhaltsanalyse unterzogen werden. Die Ergebnisse der Interviews und die Fallrekonstruktionen lassen die Schlussfolgerung zu, dass es sich bei dem Top-Segment der chilenischen Unternehmer- und Managerklasse um ein transnational orientiertes Klassensegment handelt. Innerhalb des dominanten Musters wird eine makroregionale Orientierung auf den pazifisch-asiatischen Raum sichtbar.
Die Dissertation schließt mehrere Forschungslücken. Erstens beziehen sich bislang vorliegende Untersuchungen zur Herausbildung einer transnationalen Kapitalistenklasse ausschließlich auf die Zentren. Klassenakteure in der Peripherie und Semiperipherie wurden im Rahmen dieses Forschungsparadigmas bislang noch nicht ihre transnationalen Verbindungen und Einstellungen hin untersuchen. Zweitens wird das empirische Material hinsichtlich konkurrierender Klassenbildungsprojekte – zwischen transnational, makroregional, regional und national orientierten Gruppen – untersucht.